Röhren, wie sie nicht im Lehrbuch stehen:
Klasse-B-, Zero-Bias- und Triple-Twin- Röhren
Wer immer sich irgendwann Kenntnisse über die Funktionsweise von Elektronenröhren angeeinet hat, wird gelernt haben, dass diese normalerweise mit negativen Spannungen gesteuert werden, zumindest, solange sie als lineare Verstärker betrieben werden.
Jedoch gibt es auch hier die Ausnahme von der Regel, und so gibt es Röhren, vornehmlich für Endstufen, die teilweise oder gar ausschließlich nur im positiven Gitterspannungsbereich betrieben werden.
Als um 1930 die Entwicklung der Endpentoden noch voll im Gang war, trat ein Professor Loy E. Barton von der Universität Arkansas mit einer völlig anderen Theorie hervor, mit welcher der Wirkungsgrad von Endtrioden so verbessert werden konnte, dass man auf Endpentoden verzichten, bzw. diese umgehen konnte. [1]
Allerdings benötigen diese Endtrioden jedoch außer Steuerspannung auch noch Steuerstrom - und somit Steuerleistung, die von einer entsprechenden Treiberstufe geliefert werden muss, was natürlich einen wesentlichen Nachteil gegenüber den leistungslos steuerbaren Endpentoden darstellte.
Diese Technik hätte die ideale Zwischenlösung sein können, wenn sie einige Jahre eher erschienen wäre. - Leistungsfähige und effiziente Endtrioden wären dann verfügbar gewesen, als die Pentoden noch nicht so weit entwickelt waren. Zur Zeit ihres Erscheinens gab es jedoch schon leistungsfähige Endpentoden, gegen die sie dann kaum noch konkurrieren konnten.
Lediglich die stromsparenden Zero-Bias- Klasse-B- Röhren konnten sich noch einigermaßen bei Anwendungen behaupten, wo der Strom knapp war, wie z. B. die KDD1 für Batterieempfänger oder die EDD11 für Autoradios. Dies waren auch in Deutschland die beiden einzigen bekannten Typen dieser Röhrenarten. In den USA und in von amerikanischer Technik beeinflussten Ländern waren sie schon eher verbreitet, wobei sie, außer in Kofferradios, auch dort eher ein Schattendasein führten.
Zero - Bias - Röhren
Die sogenannten "Zero-Bias"- (= "Null Vorspannung") oder "Klasse-B-" Röhren sind rein für Gegentakt-Verstärker konstruierte Endröhren, die sowohl als echte Trioden wie auch stets als Trioden zu schaltende Mehrgitterröhren erschienen.
Der vorgenannte Professor Barton trat 1930 in die Dienste der RCA. Als Resultat dieser Mitarbeit erschien zunächst die Zweigitter- Endröhre 46, (* April 1932), danach folgten die Typen 59, 89, (*Dez.32), 79 und 53 (*1933). [1]
Im Gegensatz zu normalen Endtrioden wie RE604, AD1 usw. haben diese jedoch einen hohen Innnenwiderstand und eine hohe Leerlaufverstärkung µ. Dadurch können diese ohne negative Gittervorspannug betrieben werden, wobei trotzdem nur ein geringer Anodenruhestrom fließt. Die eigentliche Aussteueung erfolgt daher also im positiven wie auch im negativen Gitterspannungsbereich, statt der allgemeinen üblichen Steuerung nur im negativen Bereich.
Bild 1: 20 W -NF- Verstärker, Endstufe mit 2 Röhren 46 in Hoch- µ- Schaltung, Treiberstufe mit einer 46 in Nieder- µ- Schaltung. |
Wegen des dadurch fließenden Gitterstroms benötigen sie jedoch eine Treiberstufe mit entsprechender Steuerleistung, welche über einen Treibertransformator den beiden Gittern zugeführt wird. Dieser Gitter- Steuerstrom ermöglicht auch mit Trioden einen Aussteuerbereich, wie man ihn sonst nur bei Pentoden mit Hilfe des Schirmgitters erzielt. Man könnte sagen, das Gitter funktioniert hier als Steuer- und Schirmgitter an einem Stück.
Der Wirkungsgrad dieser Röhren ist mit ca. 70% erheblich besser als der normaler Endtrioden, die nur ca. 20% erreichen. Auch der Ruhestrom ist gering, was dieser Schaltungsart einen Vorteil bietet, wo Stromknappheit herrscht.
Die Zweigitter- Endröhren 46, 49 und 52 sind nach technischer Definition natürlich Tetroden, sie werden aber grundsätzlich nicht als solche betrieben, stattdessen können sie je nach Schaltungsart als Trioden mit unterschiedlicher Charakteristik verwendet werden:
Verbindet man Gitter 1 mit Gitter 2, erhält man die hier behandelten hoch-µ- "Klasse-B-" Gegentakt-Endröhren.
Verbindet man jedoch Gitter 2 mit Anode, erhält man eine normale nieder-µ - nieder-Ω - Endtriode, welche dann auch als Treiberröhre für ein gleiches Paar Endröhren dienen kann.
Auch Philips brachte eine solche Zweigitter- Endröhre, die E451, heraus, die der 46 entspricht, aber mit 4 V Heizspannung und Europasockel, die jedoch offensichtlich kaum verbreitet war.
Die Dreigitter-Endröhren (Pentoden) 59 und 89 können sowohl als normale Pentoden verwendet werden und darüber hinaus auch in den vorgenannten Betriebsarten. Verbindet man Gitter 1 mit Gitter 2 - und Gitter 3 mit Anode, erhält man "Klasse-B-" hoch-µ- Endtrioden. Verbindet man die Gitter 2 und 3 mit Anode, erhält man nieder-µ- Endtrioden.
Eine mit einem Paar 46 oder 59 bestückte Zero-Bias- Gegentakt-Verstärkerschaltung kann bei 400 V Betriebsspannung die für die damalige Zeit enorme Leistung von 20 W erreichen.
Bild 2: 10 W -NF- Verstärker, mit Zero-Bias-Doppelendtriode 6N7 in Gegentaktschaltung und Treiberstufe mit 6J5 |
Ferner wurden eine Reihe von Zero-Bias- Doppelendtrioden konstruiert, wo also das Gegentakt- Triodenpaar in einer einzelnen Röhre untergebracht ist.
Die bekanntesten Typen sind :
Für Batteriebetrieb die 19 ~ 1J6 und 1G6, für Netzbetrieb die 79 ~ 6Y7, die 1635, die 53 ~ 6A6 ~ 6N7, und die 6Z7 (alle USA), in Europa erschienen die B240 und die KDD1, beide für Batteriebetrieb, und, vorzugsweise für Kfz- Betrieb, die EDD11, wobei für letztere jedoch eine feste Vorspannung von -6 V (Autobatterie) vorgesehen war.
(~ → gleiche Charakteristik, unterschiedliche Sockel und / oder Heizspannung).
Mit einer 6N7 an 300 Va, 70 mAa und Raa = 10 kΩ wird 10 Watt Ausgangsleistung erreicht. Die 6Y7 erreicht 8 W an 250 V, die EDD11 5,5 W bei 250 V, die 6Z7 4,2 W an 180 V, und die KDD1 2 W bei 135 V.
Obwohl sie eine große Heizleistung (5 W) haben, wurden die Röhren 53, 6A6 und 6N7 oft zweckentfremdet als NF-Vorverstärker eingesetzt, da sich ihre Charakteristik auch hierzu gut eignet, hierbei nun mit negativer Vorspannung. Dies war solange gerechtfertigt, wie es noch keine speziellen NF-Vorstufen- Doppeltrioden gab, später war es jedoch nur noch schlechte Gewohnheit. Hierzu wäre die 6Z7 mit nur 0,3 A Heizstrom wesentlich besser geeignet gewesen, war aber in dieser Anwendung praktisch nie anzutreffen.
Auch die EDD11 mit lediglich 0,4 Af ist für NF-Vorverstärkerzwecke gut geeignet - als einzige Doppeltriode war sie in Deutschland für viele Jahre ohne Alternative und wurde gelegentlich auch diesbezüglich eingesetzt.
"Triple- Twin-" Röhren (Darlington- Röhren)
Diese Röhren sind eine sehr bemerkenswerte Kombination von Treiber- und Endstufensystem, wobei die Katode der Treiberstufe direkt mit dem Gitter der Endstufe verbunden ist, sehr ähnlich den späteren Darlington- Transistoren. Die Treiberanode liegt fest an der Anodenspannung, somit funktioniert diese Stufe nur als Impedanzwandler ohne Spannungsverstärkung (Katodenfolger). Das Eingangsgitter benötigt keine Vorspannung, diese wird mittels eines in der Röhre eingebauten Widerstandes, der zwischen Treiber- und -Endstufenkatode liegt, erzeugt. Das Endstufengitter erhält durch den Vorstufen - Strom eine positive Vorspannug und wird auch nur im positiven Bereich ausgesteuert - (außer bei Gegentaktbetrieb).
Bild 3: Triple- Twin- Darlington- Röhre 6N6 in Eintakt- A- Schaltung |
Diese Röhrenart kam 1932 in den USA erstmalig von der Firma Speed unter der Bezeichnung "Triple Twin" mit dem Typ 295 auf den Markt.
Diese eigenartige Namensgebung wurde gewählt, weil diese Röhre mit 4,5 W angeblich die dreifache (= Triple) Ausgangsleitung der Endtriode 45 (mit 1,6...2 W) und die doppelte (= Twin) Ausgangsleitung der Endpentode 47 (2,7 W) erreichen würde, was natürlich um einiges übertrieben war [2]. Von daher wäre es etwas solider, diese Röhren heute "Darlington- Röhren" zu nennen, analog zu den sehr ähnlich funktionierenden entsprechenden Transistoren.
Es folgten u. A. die Typen 2B6, 6B5 und 6N6. Durch die Weiterentwicklung der Endpentoden bzw. Beam-Power-Tetroden wurden diese Röhren jedoch überholt: außer der einfacheren Konstruktion benötigt eine gleichstarke Endpentode weniger Steuerspannung und der Pentoden- Schirmgitterstrom ist geringer als der Anodenstrom der "Triple Twin"- Treiberstufe, (vergl. Daten der 6N6 mit 6F6, 6M6 und 6V6).
Glücklicherweise war die Stiftbelegung der "TT"- Röhren meist sinngemäß identisch mit vergleichbaren Endpentoden. So konnte die 6B5 durch eine 42, und die 6N6 durch eine 6F6, 6M6 oder 6V6 einfach durch Hinzufügung eines Katodenwiderstandes (mit Kondensator) ersetzt werden.
So, wie bei den Zweigitter-Endröhren 46, 49 und 52 beide Gitter parallel geschaltet werden, wenn sie als hoch-µ- Endtrioden betrieben werden, enthalten die End- Systeme der Typen 6B5 und 6N6, wie auch die folgende 6AC5 ebenfalls zwei Gitter, die schon in der Röhre miteinander verbunden sind. Nur mit diesen beiden Gittern im Parallelschaltung ist es möglich, auf den gewünschten hohen µ zu kommen, wie er für diese Röhrenart erforderlich ist, obwohl für die Steuerfunktion diese beiden Gitter nur als eine Einheit zählen. Für die 6AC5 ist µ = 125 !
Sowohl zu den zuvor erwähnten Zero-Bias- wie auch zu den Darlington-Röhren, kann man, je nach Schaltung, auch noch einige Einzel- hoch-µ - hoch-Ω - Endtrioden zählen, von denen die 6AC5 die bekannteste dieser Art ist.
Man kann zwei 6AC5 in Zero-Bias- Klasse-B- Schaltung betreiben und erhält dabei 8 W Ausgangsleistung, also weniger als mit einer einzigen 6N7, allerdings mit dem enorm geringen Ruhestrom von insgesamt nur 5 mA, gegenüber 35 mA der 6N7, aber auch mit einer höheren Steuerleistung von 0,95 W gegenüber 0,29 W der 6N7. Die eigentliche Leistungsverstärkung von rund 1 W auf 8 W ist daher äußerst bescheiden !
Ebenso kann man die 6AC5 als Darlington-Röhre, wie z.B. eine 6B5, schalten. Hierzu ist als Treiberstufe eine nieder-µ- Triode 76 einzusetzen, deren Katode mit dem Gitter der 6AC5 und über einem Widerstand von 25 kΩ mit deren Katode verbunden wird. Es stellt sich dabei an der 6AC5 eine positive Gitterspannung von +13 V und ein Anodenstrom von 32 mA ein, wobei 3,7 W Ausgangsleistung erreicht werden.
Bild 4: Endstufe mit 2 Röhren 6AC5 in Gegentakt- A- Darlington- Schaltung mit Spezial- Treiberröhre 6AE7 |
Schließlich kann man die 6AC5 noch im Darlington- Klasse- A Gegentakt-
betrieb einsetzen, wobei jede Endröhre wie zuvor beschrieben mit einer Treiberröhre, z.B. der 76, angesteuert wird, oder man steuert die beiden in Gegentakt geschalteten 6AC5 mit einer eigens für diesen Zweck geschaffenen nieder- µ- Doppeltriode 6AE7 an, die nur einen Anodenanschluss hat, aber deren getrennt herausgeführten Katoden auf die Gitter der beiden 6AC5 führen.
Diese 6AE7 konnte man praktisch nur zu diesem einzigen Zweck verwenden und war daher kaum verbreitet. Besser wäre es gewesen, auch beide Anoden getrennt herauszuführen, wodurch sich noch viele andere Verwendungsmöglichkeiten für diese Röhre ergeben hätten.
Mit einer einzigen 6N7 kann man mehr Leistung erzielen, als mit 2 Stück 6AC5 + einer Treiberröhre 6AE7 zusammen !
Man übertreibt wohl nicht, wenn man die 6AE7 als eine der unsinnigsten Röhren ansieht, die je konstruiert wurde, ebenso wie die auch ihr zugedachte Schaltung mit noch zusätzlich 2 Stück 6AC5. (vergleiche mit Schaltbild 6N7 !)
Für alle vorgenannten Röhrenarten ist besonders deren Steuerleistungsbedarf von Nachteil, weshalb sie sich nicht durchsetzen konnten, daneben sind die ihnen eigenen Verzerrungen (Klirrfaktor), die über dem gesamten Aussteuerbereich vorhanden sind, auch nicht unbedingt verkaufsfördernd.
Bei der Zero-Bias- Gegentakt-Verstärkerschaltung hat die Vorstufe noch eine gewisse Spannungsverstärkung, benötigt aber einen nicht gerade billigen Treibertransformator, der bei der Darlington-Schaltung zwar entfällt, dafür hat deren Vorstufe keine Spannungsverstärkung.
Literaturhinweise:
[1] Memories of early electron- tube development, Edward W. Herold, The AWA Review, Volume 7, 1992, Bloomfield, N.Y., USA
[2] 70 Years of Radio Tubes and Valves, John W. Stokes, Vestal Press, USA / New Zealand, 1982.
Link-Tipp:
Artikel über die damals ganz neue „Triple- Twin-“ Röhre Typ 295 der Firma Speed in der „Radio News“- Ausgabe vom März 1932. („Anlagen“ in Post 1 anklicken)
Im Artikel wird besonders auf die relativ geringen Verzerrungen dieses Röhrenprinzips hingewiesen, was dadurch erreicht wird, indem sich die Verzerrungen der Vor- und Endstufe zum Teil kompensieren. Bekanntlich wurden diese Röhren trotzdem kein Erfolg, da sie durch Endpentoden und Beam Power Tetroden verdrängt wurden.