Die deutschen Volksempfänger - wie gut oder wie schlecht waren sie ?

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Schon bald nach der Machtergreifung Hitlers am Januar 1933 wurde vom NS-Regime ein Volksempfänger angekündigt, als einen einfachen, aber brauchbaren Empfänger zu geringsten Kosten, den sich auch weniger wohlhabende Leute leisten können. Dieser wurde dann am 5. August auf der großen Deutsche Rundfunkausstellung als VE301 zum Preis von 76 RM vorgestellt. Die Erstauflage von 100 000 Geräten war innerhalb kurzer Zeit verkauft.

Die Funkschau schrieb in Heft 35 vom 28.08.1933:
„Der Volksempfänger stellt die beste, leistungsfähigste und zuverlässigste Konstruktion dar, die sich für den Preis von 76 RM schaffen lässt.“

Natürlich durfte auch die Funkschau nur noch Jubelpropaganda schreiben, Kritik war nicht mehr erlaubt.

Tatsächlich kann man sich bei diesem ersten wie auch bei allen späteren VE- Modellen die Frage stellen: wurde hier wirklich die beste Technik mit geringstem Aufwand und zum besten Nutzwert hin realisiert ? Bei genauerem Hinsehen muss diese Frage oft mit nein beantwortet werden oder es kommen zumindest Zweifel auf.

Der Konstrukteur des Volksempfängers war Oberingenieur Otto Griessing, schon seit der Frühzeit der NSDAP ein strammer Parteigenosse und „zivil“ Chefkonstrukteur bei bei der Firma Seibt. Da dieser damit praktisch auch der oberste Rundfunkingenieur der NSDAP war, kam natürlich nur seine eigene Konstruktion zum Zuge und nicht etwa eine neutral ausgewählte optimale Lösung.

Zur Schaltung des ersten VE301W:

 

Die Eingangsstufe des VE, bestehend aus einem Trioden-Audion mit der Röhre REN904 und anschließendem NF- Übertrager war zu der Zeit (1933) schon seit Jahren veraltet !

Der NF- Transformator war nicht nur teuer, denn neben der verschlechterten Übertragung fing er noch Brummspannung von Netztrafo auf, trotz des Aufbaus auf magnetisch nichtleitenden Messingstelzen. Um dies zu vermeiden, hätten beide Transformatoren magnetisch exakt neutral zueinander ausgerichtet sein müssen, was im VE nicht der Fall war.

Die NF- Transformatorkopplung, angesteuert von Niederohm- Trioden, war technischer Stand der Rundfunkfrühzeit in den 1920er Jahren.
Ein für 1933 zeitgemäßes Schirmgitter-Audion, z. B. mit der RENS1264 in RC- Kopplung (und dem dadurch eingesparten NF- Transformator) hätte mehr Empfindlichkeit und auch damals schon ein besseres Preis- / Leistungs- Verhältnis erbracht, so wie es Jahre später im VE301Wn mit der AF7 letztendlich eingeführt wurde.

Die noch bessere Pentode RENS1284 erschien erst im Herbst 1933, also zu spät für die Erstversion des VE.

Sinnlose Verschwendung
Angeblich um Verluste gering zu halten, wurde für den Drehkondensator „hochwertige keramische Isolation“ zur Aufhängung des Stators vorgeschrieben, ebenso für die Ausführung der Röhrenfassungen.
Bei einer maximal zu verarbeitenden Frequenz von 1500 kHz stellt sich hier die Frage, ob es nur sachliche Inkompetenz war oder ob man Firmen begünstigen wollte, die HF-Keramik herstellten. Zu dieser Zeit war es üblich, dass selbst in den Geräten der höheren Preisklassen sowohl Röhrenfassungen wie auch Drehko- Isolatoren aus Pertinax verwendet wurden. Dieses sinnlos verschwendete Geld hätte man an anderer Stelle im VE vernünftiger verwenden können.

Käfigspule und Antennen- Steckbuchsen
Die Käfigspule war zwar lobenswerter Weise aus dicker HF- Litze gefertigt und hatte dadurch wenig Verluste. Im Verhältnis des Aufwands mit den vielen Anzapfungen und Antennen- Steckbuchsen im Vergleich zum Bedienungkomfort war diese jedoch miserabel:

Eine kontinuierliche Lautstärkeregelung war nicht möglich, diese man musste durch Wahl des Antennensteckers zu einer von sieben Antennenbuchsen festlegen.

Auch bei Wellenbereichswechsel musste die Antenne umgesteckt werden. Dadurch war die Bedienung des Gerätes nur denkbar umständlich, und dies noch hinsichtlich eines Zielpublikums mit meistens nicht vorhandenem technischen Verständnis.

Auch wenn man bei der Käfigspule bleibt, so hätte man bei kaum mehr Aufwand statt der umständlichen Buchsenleiste einen einfachen Pertinax- Drehstufenschalter vorsehen können, der zugleich MW / LW umgeschaltet und die Bedienung erheblich erleichtert hätte, evtl. noch kombiniert mit Netz ein / aus.

Unpraktische Buchsenleiste

Minimal genutzter Wellenschalter,

hier wäre noch viel Platz, z. B. für Netzschalterkontakte

Nutznießer
Diese naheliegende Forderung wurde später tatsächlich verwirklicht – nur leider nicht im VE !
Bei den Recherchen zum VE wurde ein Empfänger gefunden, den man als „de Luxe“ - Ausführung des VE301 ansehen kann, - das Modell 215N von Seibt des Jahrgangs 1935/1936 !

Äußerlich sieht man dem Gerät die Verwandtschaft zum VE301 nicht an, aber es enthält den gleichen Röhrensatz; Käfigspule und Lautsprecher sowie die Schaltung selbst sind praktisch  identisch zum VE. Hier schließt sich eindeutig der Kreis von NS-Regime, Volksempfänger, Otto Griessing und der Firma Seibt !

Der wesentliche Unterschied des Seibt 215N zum VE301 besteht jedoch darin, dass sich anstelle der vielen Antennenbuchsen hier die Kontakte eines Umschalters befinden, welcher mutmaßlich zugleich auch Wellenbereichs- und Netzschalter ist. Diesen Komfort ließ sich die Firma Seibt gut bezahlen, da das Gerät zum stolzen Preis von 131 RM verkauft wurde, im Gegensatz zu den 76 RM des VE301 in ansonsten gleicher Technik !

Indem dieser Empfänger noch im Modelljahr 1935/1936 angeboten wurde, ist der Beweis erbracht, dass die technische Rückständigkeit des VE301 mit Audion- Triode und NF- Transformatorkopplung Herrn Otto Griessing und der Firma Seibt zu verdanken ist.

 

"Tuning-Kits"

Sperrkreise

Den offensichtlichen Mangel an Bedienungskomfort des VE hat sich die Zubehörindustrie zunutze gemacht und hat entsprechende extern aufsteckbare Antennen- Wahlschalter mit oder ohne Sperrkreis, Zusatzskalen oder Grammobuchsen als "Tuning-Kits" angeboten.

 

Antennenwähler ohne und mit Sperrkreis

Noch mehr Sperrkreise und Vorsatzskala

Vorsatzskalen und Grammophon - Anschluss

Schwenkspule
Allerdings hätte man sich die umständliche Käfigspule von Anfang an ersparen und gleich die Schwenkspule einsetzen können, wie erst Jahre später beim VE301Wn. Schwenkspulen wie im späteren 301Wn mit der genau gleichen Schaltungstechnik, indem die Mittelwellenspule einfach parallel zur Langwellenspule geschaltet wird, gab es schon Ende 20er / Anfangs 30er Jahre bei vielen Schaub- Modellen; - etwas neu zu erfinden gab es da also schon lange nicht mehr.

Schwenkspule in den Schaub Alpha- und Beta- Modellen von 1930

Die Fehlleistungen im ersten VE wären insofern entschuldbar, wenn nach nur geringster Entwicklungszeit ein solches Gerät hätte erscheinen sollen. Man hätte aber parallel zur Einführung des VE301 sofort mit der Optimierung des Gerätes beginnen müssen, so dass ein dem Stand der Technik entsprechendes Modell schon zur Funkausstellung 1934 und nicht erst 1937 als VE301Wn erscheinen wäre.
Vermutlich hielt der Einfluss von Otto Griessing über Jahre hinweg unvermindert an, so dass die rückständige Technik des original VE301 überlang beibehalten wurde.

Rückseitiger Netzschalter
Auch die unzweckmäßige rückseitige Anbringung des Netzschalters wäre vermeidbar gewesen, wenn man diesen mit dem Wellenbereichsschalter kombiniert hätte.

RES164
Die Leistung der RES164 war für den Freischwinger- Lautsprecher ausreichend.
Unzweckmäßig war jedoch ihre Schirmgitterspannung von nur 80 V, wodurch ein Schirmgitter- Vorwiderstand und -Kondensator erforderlich wurde, was man gerade bei einem Billiggerät vermeiden möchte. Hinzu kommt der relativ hohe Steuerspannungsbedarf der RES164, der bei der Ansteuerung durch eine Audionschaltung zu Verzerrungen führt.

Man hätte für den VE eine Endröhre mit der Empfindlichkeit der AL4, aber nur mit ⅓ bis maximal ½ des Anodenstroms gebraucht. Die erste Endröhre in dieser Richtung war die EL8, die aber erst 1949 erschien. Dann waren aber die Auftraggeber des VE301 nicht mehr an der Macht und es wurden auch keine VE301 mehr gebaut.

1937: VE301Wn - endlich ein vernünftiger VE !

Volle 4 Jahre dauerte es, bis der VE in einem technischen Zustand gebracht wurde, wie man ihn sich von Anfang an gewünscht hätte. Insbesondere wurde die Audion- Eingangsstufe endlich so ausgeführt, wie es schon vor dem VE der Stand der Technik war.

Vielleicht häuften sich die Beschwerden der Rundfunkindustrie über die längst veraltete Technik des VE so massiv, dass man endlich, wenn auch viel zu spät, eine neue Richtung einschlug.

Die Käfigspule mit der ihr anhaftenden mangelhaften und umständlichen Bedienung wurde ersetzt durch eine Schwenkspuleneinheit, die eine kontinuierliche Lautstärkereglung und zugleich eine variable Ankopplung der Antennenspule an die Schwingkreisspule ermöglichte. Die Notwendigkeit, die Antenne je nach Wellenbereich umzustecken, verringerte sich deutlich, wobei die Antennen- Buchsenleiste und leider auch der Wellenbereichsschalter nach hinten verlegt wurden.

Die Triode REN904 wich der Pentode AF7, wodurch sich die Empfindlichkeit des Gerätes deutlich erhöhte. Durch den Wegfall des NF- Transformators zwischen Vor- und Endröhre wurde sowohl eine Qualitätsverbesserung wie auch eine deutliche Kostenersparnis erzielt.

Zu wünschen wäre jedoch immer noch die Kombination von Netz- und Wellenschalter mit der Schwenkspule und der Rückkopplung.

Fortsetzungen:

Der VE301W-dyn - der meistgebaute Prototyp aller Zeiten ?

Der DKE38 – so billig wie möglich !